Kyrie eleison, sieh wohin wir gehen. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn. So lautet der Refrain vom Lied 451 in unserem Kirchengesangbuch. Ein Passionslied, das mich von Karfreitag zu Ostern führt und mich seit meinem Studium begleitet.
Ich weiss nicht, ob Ihnen dieses Lied bekannt ist. An der Uni besuchte ich ein Seminar, in dem wir uns mit dem Schatz des Kirchengesangbuches auseinandersetzten, passend zum Kirchenjahr mit Passions- und Osterliedern.
Jürgen Henkys bringt uns Singende mit dem Lied «Holz auf Jesu Schulter» in einen Dialog. Der Refrain ist eine Bitte an Gott, Herr erbarm dich, schau auf uns, ruf uns, lass uns auferstehn. Karfreitag und Ostern fordern mich, meinen Glauben immer wieder neu heraus. Was ist damals passiert? Wie kam es von der Freude am Palmsonntag zur Forderung «ans Kreuz mit ihm»? Die Erde klagt an, doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht. So die Antwort in der dritten Strophe. Was fangen wir damit an? Halten wir diese Spannung aus? Was bedeutet der Tod von Jesus für mich? Ist es eine Schwäche von Gott?
Für mich ist es eine Stärke. Ich glaube an einen Gott, der auch die Schattenseiten des Lebens, den Tod, den Verlust kennt. Ich vertraue auf einen Gott, der mich von den Toten ruft, der zum Baum des Lebens wird, der gute Frucht bringt, dessen Gericht gnädig ist. Jürgen Henkys bietet uns dies an, gesteht uns aber auch zu, dies zu hinterfragen. Wenn er schreibt: «Die Erde jagt uns auf den Abgrund zu. Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?»
Warum zweifeln wir? Vielleicht steht uns unser Verstand im Weg. Wie soll das gehen, vom Tod auferstehn? Was für Beweise gibt es dafür? Ist es nicht einfacher, wenn irgendwann wirklich alles vorbei ist, so die Überzeugung einer ehemaligen Konfirmandin. Ich kann sie verstehen, doch ich vertraue darauf, dass Gott zu mehr fähig ist, dass das Himmelreich auf uns wartet. Das Kreuz ist das Sinnbild dafür, wozu der Mensch fähig ist. Die Auferstehung ist das Sinnbild dafür, wozu Gott fähig ist.
Mein Kreuz, das ich um den Hals trage, ist nicht ein statisches Kreuz, sondern es sind zwei Kreuze übereinander, leicht verschoben. Das eine Kreuz steht stark verankert da, so wie es von uns Menschen aufgerichtet worden ist, und es zeigt ein Kreuz in Bewegung, himmelwärts, eines das aufsteht, geschwungen, nur halb so breit, wie das andere. Für mich ist das Kreuz ein Wendepunkt, vom Tod zur Auferstehung. Die Theologin Dorothee Sölle geht noch weiter und schreibt: «Das Leben wählen heisst, das Kreuz zu umarmen. Und das heisst, die Schwierigkeiten, die Erfolglosigkeit, die Angst, allein dazustehen, in Kauf zu nehmen. … Wir überleben das Kreuz. Wir wachsen im Leiden. Wir sind der Baum des Lebens.»
Zuerst erschienen im TOP Hiwil April 2021